12. DEZEMBER
Annette von Droste-Hülshoff
AM TURME

Ich steh' auf hohem Balkone am Turm, Umstrichen vom schreienden Stare,
Und lass' gleich einer Mänade den Sturm Mir wühlen im flatternden Haare;
O wilder Geselle, o toller Fant, Ich möchte dich kräftig umschlingen,
Und, Sehne an Sehne, zwei Schritte vom Rand Auf Tod und Leben dann ringen!
Und drunten seh' ich am Strand, so frisch Wie spielende Doggen, die Wellen
Sich tummeln rings mit Geklaff und Gezisch Und glänzende Flocken schnellen.
O, springen möcht' ich hinein alsbald, Recht in die tobende Meute,
Und jagen durch den korallenen Wald Das Walroß, die lustige Beute!
Und drüben seh' ich ein Wimpel wehn So keck wie ein Standarte,
Seh' auf und nieder den Kiel sich drehn Von meiner luftigen Warte;
O, sitzen möcht' ich im kämpfenden Schiff, Das Steuerruder ergreifen
Und zischend über das brandende Riff Wie eine Seemöve streifen.
Wär' ich ein Jäger auf freier Flur, Ein Stück nur von einem Soldaten
, Wär' ich ein Mann doch mindestens nur, So würde der Himmel mir raten;
Nun muß ich sitzen so fein und klar, Gleich einem artigen Kinde,
Und darf nur heimlich lösen mein Haar Und lassen es flattern im Winde!

Weiter zu den Inhalten meines Adventskalender