3. DEZEMBER
Marie von Ebner-Eschenbach
UNGELÖSTE AUFGABEN
Eine kluge Prinzessin wurde von einem beschränkten, aber sehr mächtigen König geliebt und schenkte seinen Werbungen kein Gehör. Als er immer dringender und in Folge dessen lästiger wurde, beschloß sie, ihn für immer aus ihrer Nähe zu entfernen. Dies mußte jedoch in Güte geschehen, denn die Feindschaft des starken Nachbarn wollte die Prinzessin ihrem Lande nicht zuziehen.
So sprach sie denn eines Tages zu ihm: "Deine Treue hat mich gerührt, und ich will sie belohnen. Du sollst mein Gemahl werden, sofern es Dir gelingt, die Aufgabe zu lösen, welche ich Dir stellen will."
Der König rief: "Nenne sie; wenn es im Bereiche menschlicher Kraft liegt, werde ich sie erfüllen."
"Zieh hin," erwiderte die Prinzessin, "und suche mir die folgenden drei Dinge ausfindig zu machen: Ein Vorurteil, das durch Vernunft besiegt wurde.
Eine Torheit, die so groß ist, dass noch kein Mensch sie begangen hat.
Eine Lästerung, so schamlos, dass sich keine Zunge findet, um sie zu wiederholen."
Der König lachte und gab Befehl, die Hochzeitsfeier zu bereiten, denn er meinte, in wenigen Tagen schon seine Braut heimzuführen. Dann begab er sich auf die Reise.
Dies geschah vor tausend Jahren, und bis heute ist er noch nicht zurückgekommen.
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