Beeerta von Suttner
DIE WAFFEN NIEDER
Eine Erzählung aus "anderer Zeit".

Erstes Buch.
1859.
Mit siebzehn Jahren war ich ein recht überspanntes Ding. Das könnte ich wohl heute nicht mehr wissen, wenn die aufbewahrten Tagebuchblätter nicht wären. Aber darin haben die längst verflüchtigten Schwärmereien, die niemals wieder gedachten Gedanken, die nie wieder gefühlten Gefühle sich verewigt, und so kann ich jetzt beurteilen, was für exaltierte Ideen in dem dummen, hübschen Kopfe steckten. Auch dieses Hübschsein, von dem mein Spiegel nicht mehr viel zu erzählen weiß, wird mir durch alte Porträts verbürgt. Ich kann mir denken, welch beneidetes Geschöpf die jugendliche, als schön gepriesene, von allem Luxus umgebene Komteß Martha Althaus gewesen sein mochte. Die sonderbaren - in rotem Umschlag gehefteten - Tagebuchblätter jedoch deuten mehr auf Melancholie, als auf Freude am Leben. Die Frage ist nun die: war ich wirklich so töricht, die Vorteile meiner Lage nicht zu erkennen, oder nur so schwärmerisch zu glauben, daß allein melancholische Empfindungen erhaben und wert seien, in poetischer Prosa ausgedrückt und als solche in die roten Hefte eingetragen zu werden? Mein Los schien mich nicht zu befriedigen, denn da steht's geschrieben:
"Oh, Jeanne d'Arc - du himmelsbegnadete Heldenjungfrau, könnt' ich sein wie du! Die Oriflamme schwingen, meinen König krönen und dann, sterben - für das Vaterland, das teure."
Zur Verwirklichung dieser bescheidenen Lebensansprüche bot sich mir keine Gelegenheit. Auch im Zirkus von einem Löwen als christliche Märtyrerin zerrissen zu werden - ein anderer (laut Eintragung vom 19. September 1853) von mir beneideter Beruf - war mir nicht zugänglich, und so hatte ich offenbar unter dem Bewußtsein zu leiden, daß die großen Taten, nach welchen meine Seele dürstete, ewig ungeschehen bleiben müßten, daß mein Leben - im Grunde genommen - ein verfehltes war. Am 10. März 1857 feierte ich meinen siebzehnten Geburtstag. "Schon siebzehn" lautet unter jenem Datum die Eintragung ins Tagebuch. Dieses "schon" ist ein Poem. Es steht kein Kommentar daneben, aber vermutlich wollte ich damit sagen: "und noch nichts für die Unsterblichkeit getan". Diese roten Hefte leisten mir heute, da ich meine Lebenserinnerungen aufzeichnen will, gar gute Dienste. Sie ermöglichen mir, die vergangenen Ereignisse, welche nur als verschwommene Umrißbilder im Gedächtnis haften geblieben, bis in die kleinsten Einzelheiten zu schildern, und ganze längst vergessene Gedankenfolgen oder längst verklungene Gespräche wörtlich wiederzugeben.
Im nächstfolgenden Fasching sollte ich in die Gesellschaft eingeführt werden. Diese Aussicht entzückte mich aber nicht so außerordentlich, wie dies gewöhnlich bei jungen Mädchen der Fall ist. Mein Sinn strebte nach Höherem als nach Ballsaaltriumphen. Wonach ich strebte? Diese Frage hätte ich mir wohl selber nicht beantworten können. Vermutlich nach Liebe ... doch das wußte ich nicht. Alle diese glühenden Sehnsuchts- und Ehrgeizträume, welche im Jünglings- und Jungfrauenalter die Menschenherzen schwellen, und welche unter allerlei Formen - Wissensdurst, Reiselust, Tatendrang - sich verwirklichen wollen, sind doch zumeist nur die unbewußten Bestrebungen des erwachenden verliebten Triebes.
In diesem Sommer wurde meiner Tante ein Kurgebrauch in Marienbad verordnet. Sie fand es für gut, mich mitzunehmen. Obgleich meine offizielle Einführung in die sogenannte Welt erst in der kommenden Winterszeit stattfinden sollte, so wurde mir doch gestattet, einige kleine Kurhausbälle mitzumachen; - gleichsam als Vorübung im Tanzen und Konversieren, damit ich in meiner ersten Faschingssaison nicht gar zu schüchtern und ungelenk auftreten möge.
Doch was geschah auf der ersten "Reunion", die ich besuchte? Ein großes, sterbliches Verlieben. Natürlich war's ein Husarenleutnant. Die im Saale anwesenden Zivilisten schienen mir neben den Militärs wie Maikäfer neben Schmetterlingen. Und unter den anwesenden Uniformträgern waren die Husaren jedenfalls die glänzendsten; unter den Husaren schließlich war Graf Arno Dotzky der blendendste. Über sechs Fuß groß, schwarzes Kraushaar, aufgezwirbeltes Schnurbärtchen, weißglitzernde Zähne, dunkle Augen, welche so durchdringend und zärtlich schauen konnten - kurz, auf seine Frage: "Haben Sie den Kotillon noch frei, Gräfin?" fühlte ich, daß es noch andere, ebenso erhebende Triumphe geben kann, wie das Bannerschwingen der Jungfrau von Orleans, oder das Szepterschwingen der großen Katharina. Und er, der Zweiundzwanzigjährige, hat wohl ähnliches empfunden, als er mit dem hübschesten Mädchen des Balles (nach dreißig Jahren kann man schon so etwas konstatieren) im Walzertakt durch den Saal flog; da dachte er wohl auch: Dich besitzen Du süßes Ding, das wöge alle Marschallstäbe auf. "Aber Martha - aber Martha!" brummte die Tante, als ich atemlos auf meinen Sessel an ihrer Seite zurückfiel, ihr mit den schwingenden Tüllwolken meines Kleides um den Kopf wirbelnd.
"O pardon, pardon, Tanti!" bat ich und setzte mich zurecht. "Ich kann nichts dafür ..."
"Davon ist auch nicht die Rede - mein Vorwurf galt deinem Benehmen mit diesem Husaren - du darfst dich beim Tanzen nicht so anschmiegen ... und schaut man denn einem Herrn so in die Augen?" Ich errötete tief. Hatte ich etwas Unmädchenhaftes verbrochen? Mochte der Unvergleichliche etwa eine schlechte Meinung von mir gefaßt haben? ... Von diesen bangen Zweifeln wurde ich noch im Verlauf des Balles befreit, denn während des Souperwalzers flüsterte der Unvergleichliche mir zu:
"Hören Sie mich an - ich kann nicht anders.- Sie müssen es erfahren - heute noch: ich liebe Sie."
Wie mir das Herz klopfte! Aber ich schwieg.
"Ich stürze mich kopfüber in mein Schicksal," fuhr er fort ... "Sie oder keine! Entscheiden Sie über mein Glück oder über meinen Tod ... denn ohne Sie kann und will ich nicht leben ... Wollen Sie die Meine werden?"
Auf eine so direkte Frage mußte ich doch etwas erwidern. Ich suchte nach einer recht diplomatischen Phrase, die - ohne jegliche Hoffnung abzuschneiden - meiner Würde nichts vergäbe, brachte aber weiter nichts hervor als ein zitternd gehauchtes "Ja". "So darf ich morgen bei Ihrer Tante um Ihre Hand anhalten und dem Grafen Althaus schreiben?"
Wieder "ja" - diesmal schon etwas fester.
"O, ich Glücklicher! Also auch auf den ersten Blick? - Du liebst mich?" Jetzt antwortete ich nur mit den Augen - doch diese, glaub' ich, sprachen das allerdeutlichste "Ja".

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